Schleichend wird es immer schneller, die BPM-Zahl nimmt schwindelerregend zu, plötzlich lösen sich die Grooves in Dub-Flächen auf und Industrial-Noise umklammert die stehenden Bass-Sounds. Nach einigen fast rhythmuslosen Minuten steigen erneut rasante Rhythmen auf, um die Tänzer wieder heimlich in die Rave-Umlaufbahn zu schicken. Ein erstaunliches, originelles Set, das der niederländische DJ und Produzent Spekki Webu im Juli 2019 im Londoner Club The Pickle Factory spielt. Schon hier enthüllt sich, dass er zu einer neuen Generation von DJs gehört, die Rave nicht linear verstehen, psychedelische Nuancen schätzen und Tanzen als schamanistische Voyage empfinden.
Fünf Jahre später. Erster Mai in Berlin. Die Sonne scheint, die Stadt brennt. Überall Glas und Spaß. Draußen in der Vorstadt ist es ruhiger. Keine Schlange vor dem Club RSO.Berlin, zudem charmanter Einlass. Trotz nachmittäglicher Leere willkommen heißende Atmosphäre. Draußen auf dem Open-Air-Floor ist viel Platz für Bewegung. Mit Ravern jeglicher Couleur. Hip, chic, classic, fresh und done. Großer Vibe im kleinen Kreis, angeschoben von Spekki Webu. Tranceartig. Variantenreich. Tribal.
Waren das eben House-Chords über schnellen Gabber-Takten? Die Mikrorhythmen saugen auf, die Dub-Bässe absorbieren. In einer Ära algorithmischer Partyräume sendet Spekki Webu Frequenzen aus einer vergessenen Zukunft. In den letzten Jahren hat sich der in New Orleans geborene Künstler von seinem niederländischen Heimatort Delft still und fokussiert zu einem fesselnden Newcomer des globalen Techno-Undergrounds entwickelt. Seine Wurzeln liegen in der niederländischen Gabber- und Tekno-Szene der Neunziger, doch sein Sound ist ein multidimensionaler Trip durch moderne hypnotische Rhythmen, rauschhafte Texturen und spirituelle Field-Recordings.

Sein Label Mirror Zone und dessen Sublabels Optic Portal und cycle bender arbeiten ähnlich. Sie sind Portale für Musik, die die Grenzen zwischen klassischen Rave-Utopien und der dysfunktionalen digitalen Gegenwart verwischt. Seine eigenen Produktionen sind cineastisch, verschlungen und speedy emotional. Live präsentierte er zudem audiovisuelle Trips mit dem Projekt Signal Transmutations in renommierten Institutionen wie dem Nxt Museum in Amsterdam.
Ob in eigenen Tunes oder in DJ-Sets, sein Sound wirkt wie in einer Zeitschleife versunken, in der die Euphorie von Trance und frühem Techno der Neunziger durch eine postindustrielle, psychotrope Linse packend gefiltert wird. Ist modischer Techno gern poliert, linear und der Clubökonomie unterworfen, so ist der loopige Sound von Spekki Webu micro-technoid rauschhaft, voller Raum für Imaginationen, geschaffen für veränderte Bewusstseinszustände auf der Tanzfläche. Auch sein Album Neural Network, kürzlich beim südkoreanischen Label Beyond The Bridge erschienen, setzt seine Forschung in den Tiefen der elektronischen Klangideenwelt fort. Es verbindet Elemente aus Ambient, Techno, Broken-Dubstep und experimenteller Musik. Komplexe Überlagerungen von Texturen und Rhythmen, die ein Gefühl der Bewegung durch digitale Organismen erzeugen.
Ganz so wie weite Teile seines Sets am ersten Mai im Club RSO. Er selbst ist beim Auflegen zurückhaltend. Seine Musik übernimmt den Zauber, führt in kognitive Terrains mit fremdartiger Logik. Für manche bringt sie Transzendenz. Für andere Dekadenz. Ultramodern, voller Klang-Rhizome. Dann plötzlich, mitten in der Trance, tritt Ellen Allien in die DJ-Booth. Die nun eng besetzte Tanzfläche erwacht aus ihrem Traumzustand. Spekki Webu und die Berliner BPitch-Legende umarmen sich herzlich. Dann tritt sie zurück, hört innig den fiebrigen Grooves zu, steppt ein wenig, zieht ihren USB-Stick heraus, scrollt zielbestimmt zum richtigen File und droppt ganz ungeniert und treffend Westbam & Nenas „Oldschool, Baby”. Selten passte der Refrain „We are the old school, that’s the new” so gut, wie bei diesem Generationen-DJ-Wechsel.
Kurz darauf sitzen wir mit Spekki Webu im RSO-Garten zusammen, plaudern über seine Geschichte, Visionen und seinen Alltag. Anschließend gehen wir noch zu DJ Stingray tanzen. Alles nach wie vor hip, chic, classic, fresh und done. Nur nicht mehr im kleinen Kreis!
GROOVE: So großartig, dass Ellen Allien als ersten Track „Oldschool Baby” gespielt hat. Er markiert genau, was passierte: die Newschool hört auf, die Oldschool übernimmt.
Spekki Webu: Ja, echt witzig, das passte genau.
Die Musik, die du gespielt hast, klang so modern. Es war, als würden Maschinen summen. So schnell, wie der Computer denkt, auf dem ich dieses Interview schreibe. Dann wieder sanfter, dennoch bestimmend. Alles sehr detailverliebt und trotzdem leicht und druckvoll, ohne IDM-Intellekt.
Ja, in der Musik, die sich spiele, passiert ständig etwas. Es sind Loops, aber irgendwie auch nicht. Weil da so viel in kleinen Nuancen passiert. Das Spannende an dieser Musik – auch wenn ich sie selbst mache – ist, wie subtil sich alles verändert. Vordergründig minimalistisch, aber wenn du genau hinhörst wahnsinnig variantenreich. Ich liebe es, das so minimal wie möglich zu halten und trotzdem eine gewisse einnehmende Dynamik reinzubringen. Das hat was.

Würdest du sagen, du machst und spielst transportive music? Also Musik, bei der man sich richtig fallen lassen muss?
Total. Für mich ist Psychedelik ein Schlüsselmoment. Diese Kraft der Wiederholung – das brauchst du, um in eine Trance zu kommen. Wie bei alter ethnischer Musik: ein Gesang, ein Loop. Das hat mich schon immer fasziniert. Meine Musik soll dich reinziehen. Hypnose durch Klang. Gerade das alte Free-Techno-Zeug – das ist oft super minimal, rollend, fast hypnotisch. Du bist irgendwann einfach drin. Und du willst da auch nicht mehr raus.
So etwas wie: Techno-Meditation?
Auf jeden Fall. Wenn ich lange Aufnahme-Sessions mache, ist das wie Therapie. Auch beim Auflegen versuche ich, mich fallen zu lassen, aber gleichzeitig die Kontrolle zu behalten. Irgendwann bin ich dann so tief drin, dass ich gar nicht mehr bewusst denke. Dann läuft es einfach. Das sind die besten Momente, weil ich dann wirklich zum Kern komme. Kein Denken, aber irgendwie doch.
Das hört man deinem Album Neural Network an. Es ist schnell, aber gleichzeitig tief. Diese Luftigkeit in den Pads, diese Präzision.
Ja, mein Album ist sehr ausgearbeitet. Es ist zwar sounddesign-lastiger, aber trotzdem roh. Hat etwas Mathematisches, trotzdem Bauchgefühl.
Was inspiriert dich zu solcher Musik?
Oft ist da nichts Konkretes, aber dieses Album war komplett von einem Gefühl getragen. Ich habe auf dem Organik Festival in Taiwan gespielt und bin im Morgengrauen vom Land zurück nach Taipeh gefahren. Die Sonne im Gesicht, zwei, drei Stunden Fahrt durch eine dystopisch anmutende Gegend. Es war wie in einem Cyborg-Manga-Film. Daher auch der Albumtitel und die Tracknamen: „Neural Network”, „Replica Harvester”, „Microcell Structure”. Alles ein bisschen von Blade Runner inspiriert. Und dann wurde es eben dieser glitchy, technoide Sound. Meine Musik entsteht fast immer aus Momenten, Gefühlen, Energien.
Es geht also ums Leben.
Exakt. In diesem Fall ist es ein science-fiction-artiger Vibe. Ein Mikro-Universum.
„Das Label ist ein Blueprint von mir selbst.”
Machst du digitale Musik?
Auf keinen Fall nur digital. Ich nutze auch viele Maschinen, zum Beispiel granulare Sampler von Torso Electronics. Außerdem nehme ich viel selbst auf. Wenn ich unterwegs bin, habe ich immer ein Mikro dabei. Field Recordings sind für mich wichtig. Manchmal nehme ich sogar einfach den Clubsound mit dem Handy auf und baue daraus etwas. Ich mag Geräusche, das ganze Spektrum an Sounds.
Das ist der Dub-Aspekt in deiner Musik. Schon bei deinen ersten Platten. Auch heute hattest du wieder diese Dub-Momente im Set, aber auf eine unnormale Art.
Das ist auch eine Facette, die ich schätze, aber nicht im klassischen Sinn. Dub ist bei mir eher aufgebrochen, nuanciert spürbar. Das Album ist inspiriert von so vielem – von IDM, von Dubstep-Vibes, von dieser Broken-Ästhetik. Es ist meine Reise. Der Macher hinter dem Label, Pyramid of Knowledge, teilt diesen Background. Er ist aus Paris, war auch in der Free-Party-Szene aktiv. Wir haben ähnliche Geschichten. Deshalb passt das Album so gut zu seinem Label.
Dokumentierst du deinen Musikgeschmack auch mit deinem eigenen Label Mirror Zone?
Das Label ist ein Blueprint von mir selbst. Sonst macht es doch keinen Sinn, ein Label zu machen. Ich habe gerade drei Stränge: Mirror Zone – da kommt bald wieder was Tribalistisches von Taxa. Dann mache ich noch zwei Sublabels, Optic Portal und cycle bender. Ich habe jetzt auch mehr Zeit dafür, weil ich nur noch für die Musik arbeite. Keinem Job mehr nachgehe. Es ist so schön, all diese krassen Musiker um sich zu haben. Das inspiriert sehr.

Du wohnst im beschaulichen Städtchen Delft, aber dein Studio ist in Den Haag, oder?
Ja, das ist ja quasi um die Ecke, 20 Minuten mit dem Auto. Früher hatten wir ein Studio in einem besetzten Haus, unten im Keller war das Crave-Festival-Büro. So ein kleiner Bunker mit acht Studios. Die haben uns aber rausgeschmissen. Und jetzt, fünf Jahre später, haben wir endlich was Neues im Subterra Space Studio Komplex in Den Haag. Das war früher ein nukleares Wasserwerk, jetzt sind da 17 Studios. Super viele verschiedene Leute: Pop-Bands, Elektronik. Ich teile mir das mit meinen Kumpels Jeans und Daniel. Es ist ein kreativer Pool, der mir wieder Raum für Neues gibt.
Wie sieht eine typische Woche bei dir aus?
Montag erholen. Danach organisieren, arbeiten. Ich mache auch Freelance-Sounddesign für Werbung, Websites, Filme. Ich brauche dafür nur mein Studio. Manchmal fahre ich nach Amsterdam zu einem Freund, der mir bei größeren Produktionen hilft. Ich liebe diese diversen Arbeitsformen, sie öffnen mir neue Perspektiven. Deshalb klingt meine Musik wahrscheinlich auch so cineastisch.
„Wir müssen uns verbinden – persönlich, geistig, whatever.”
Wir kennen uns jetzt schon fünf, sechs Jahre – wie siehst du deine Entwicklung seitdem?
Manchmal muss ich kurz stehenbleiben, reflektieren: Krass, wo ich jetzt bin. Es fühlt sich alles sehr organisch an. Ich versuche, nicht zu viel nachzudenken. Aber natürlich, es war eine wilde Reise – und vor allem der persönliche Austausch, auch über das Label, hat mich total weitergebracht. Du lernst Leute kennen, die Freunde werden, auf einer Wellenlänge sind. Musik bringt so viel Schönes.
Zuerst muss die persönliche Connection stimmen, oder?
Wenn ich Künstler fürs Label finde, geht es mir zuerst gar nicht um die Musik. Wir müssen uns verbinden – persönlich, geistig, whatever. Danach kommt erst der Sound. Und dann entsteht auch Nähe, ein Gefühl von Familie.
Und wer vertreibt die Veröffentlichungen?
Wir haben früher mit One Eye Witness gearbeitet, aber jetzt sind wir bei Clone. Ich bewundere, was Serge geschaffen hat. So viele Jahre global aktiv. Ich hoffe, dass mir, den Labels und den Künstlern, eine ähnliche Konstanz gelingt.